Als jemanden, der sich seit Jahren mit politischen Entscheidungsprozessen und Verwaltungsmodernisierung beschäftigt, frustriert mich eines besonders: Die Digitalisierung der Verwaltungen stockt, obwohl die technischen Möglichkeiten längst da wären. Viele Bürgerinnen und Bürger erleben beim Ausfüllen von Formularen, der Beantragung von Leistungen oder beim Terminmanagement immer noch Hürden, die vermeidbar sind. Ich möchte hier erklären, warum das so ist und welche konkreten, pragmatischen Schritte auf kommunaler und Landesebene sofort spürbar wären — ohne große Pilotprojekte, sondern mit gezielten, umsetzbaren Maßnahmen.

Warum es hakt: Mehr als nur Technik

Wenn die Rede von fehlender Digitalisierung ist, denken viele zuerst an veraltete Software oder langsame Internetleitungen. Das sind echte Probleme, aber sie erklären nicht alles. Die Blockade liegt oft tiefer und umfasst mehrere Ebenen gleichzeitig:

  • Organisatorische Silos: Ämter arbeiten häufig in getrennten Prozessen und Datenwelten. Schnittstellen fehlen, Zuständigkeiten sind unklar — das führt zu Reibungsverlusten.
  • Fehlende Standardisierung: Es gibt zig unterschiedliche Formate für Formulare, Dateianhänge und Identifikationsverfahren. Einheitliche Standards fehlen oder werden nicht verbindlich durchgesetzt.
  • Rechtliche Unsicherheiten: Datenschutz- und Archivierungsvorschriften werden oft als Hindernis wahrgenommen. BehördenFürchten Sanktionen und wählen deshalb konservative Lösungen, die digitale Erleichterungen verhindern.
  • Infrastruktur und Betrieb: Cloudnutzung ist in vielen Verwaltungen noch tabu oder nur teilzulässig. Gleichzeitig fehlt oft Personal mit IT-Betriebskenntnissen.
  • Kultur und Qualifizierung: Digitalisierung ist kein IT-Projekt, sondern ein Veränderungsprozess. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen Befähigung, Vertrauen und Zeit, um neue Abläufe zu übernehmen.
  • Fehlende Nutzerorientierung: Anwendungen werden für die Verwaltung und nicht für die Bürgerinnen und Bürger entworfen. Das Ergebnis: komplexe Portale, die niemand gern nutzt.

Was Bürgerinnen und Bürger sofort spüren würden — fünf pragmatische Schritte

Es gibt Maßnahmen, die sich technisch und organisatorisch vergleichsweise schnell umsetzen lassen und die Nutzererfahrung unmittelbar verbessern. Ich nenne hier fünf Schritte, die lokal und relativ kostengünstig wirken:

  • 1. Einfache, zentrale Zugangswege: Statt Dutzender Portale eine zentrale Bürgerplattform pro Kommune oder Landkreis, mit Single-Sign-On und klarem Aufbau. Nicht alles muss gleich digitalisiert werden — aber der Zugang sollte einheitlich und auffindbar sein.
  • 2. Formular-Rollout mit Wiederverwendung: Standardisierte digitale Formulare (z. B. XForms, eIDAS-konform) für häufige Dienste: Ummeldung, Gewerbeanmeldung, Elterngeld-Anträge. Daten einmal erfassen, mehrfach verwenden.
  • 3. Terminmanagement und Chat-Services: Online-Terminvergabe kombiniert mit einem Chat- oder Rückrufdienst. So lassen sich Wartezeiten reduzieren und Unklarheiten vorab klären — ein spürbarer Unterschied für Nutzer.
  • 4. Rückmeldungspflicht und Tracking: Jede digitale Antragstellung sollte einen klaren Bearbeitungsstatus liefern (Eingang, Bearbeitung, Entscheidung) und eine Kontaktperson nennen. Transparenz schafft Vertrauen.
  • 5. Low-Code/No-Code für Behörden: Kurzfristig können Low-Code-Plattformen (z. B. Mendix, OutSystems oder lokale Alternativen) helfen, Lösungen schnell zu bauen und anzupassen, ohne monatelangen Softwareentwicklungszyklus.

Wie konkret aussehen könnte: Ein kleines Implementierungs-Szenario

Stellen Sie sich eine Stadtverwaltung vor, die in den nächsten 12 Monaten folgende Prioritäten setzt:

  • Einbindung eines zentralen Bürgerportals mit Login über das neue BundID-/eID-Verfahren und alternativen Login-Optionen (z. B. elektronisches Postfach, einfacher Nutzeraccount).
  • Migration der zehn häufigsten Papierprozesse in digitale Formulare, die wiederverwendbare Datenmodelle nutzen.
  • Einführung eines Online-Terminbuchungsmoduls und eines digitalen Rückruf-Angebots.
  • Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kundenkommunikation und einfachem Prozessmanagement.

Das Ergebnis für die Bürgerinnen und Bürger: weniger Wege, weniger Papier und schnelleres Feedback. Für die Verwaltung: weniger analoge Nachbearbeitung, klarere Kapazitätsplanung und bessere Datenqualität.

Ein kleines Vergleichs-Tableau: Aufwand vs. Wirkung

Maßnahme Investitionsaufwand (kurzfristig) Spürbarer Nutzen für Bürger
Zentrales Bürgerportal + SSO mittel hoch — einfacher Zugang, ein Account für viele Dienste
Digitale Standardformulare gering bis mittel hoch — weniger Papier, schnellerer Prozess
Online-Terminbuchung & Chat gering mittel — weniger Wartezeit, bessere Kommunikation
Low-Code-Lösungen für interne Prozesse gering hoch — schnelle Anpassung und Fehlerbehebung
Schulungen & Change Management gering mittel — nachhaltigere Akzeptanz

Widerstände begegnen — so lassen sie sich praktisch mindern

Viele Bedenken sind berechtigt: Sicherheitsfragen, Datenschutz oder die Angst vor Arbeitsplatzverlust. Diese Ängste lassen sich adressieren, wenn man transparent vorgeht:

  • Beteiligung statt Verordnung: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Prozessgestaltung einbeziehen. Das schafft Akzeptanz.
  • Transparente Datenschutzkonzepte: Klare Erklärungen, welche Daten warum gespeichert werden, und einfache Widerspruchsmechanismen.
  • Schrittweise Einführung: Mit Pilotbereichen starten, Fehler sichtbar kommunizieren und schnell nachsteuern.
  • Kooperation statt Konkurrenz: Kommunen sollten Best-Practice-Lösungen teilen und gemeinsame Beschaffungen prüfen, statt jeder für sich zu entwickeln.

Was die Politik tun muss — realistische Hebel

Auf Landes- und Bundesebene braucht es politische Entscheidungen, die Rahmenbedingungen schaffen statt neue Gremien zu installieren. Dazu gehören:

  • Verbindliche Standards und Schnittstellendefinitionen.
  • Finanzielle Anreize für nachhaltige Betriebskosten (nicht nur einmalige Projektmittel).
  • Förderprogramme für Weiterbildung in Verwaltungen.
  • Rechtliche Klarheit zur Nutzung von Cloud-Diensten und zur digitalen Identität.

Wenn diese Hebel gezogen werden, profitieren nicht nur die Verwaltungen, sondern vor allem die Menschen, die Dienstleistungen brauchen — und zwar unmittelbar.

Ich erlebe in Gesprächen immer wieder: Bürgerinnen und Bürger wünschen sich weniger digitale Buzzwords und mehr funktionale Erleichterung im Alltag. Die beschriebenen Schritte sind kein technologischer Hexenwerk, sondern ein politischer und organisatorischer Mut zur Pragmatik. Und genau diesen Mut brauchen wir jetzt.