In den letzten Jahren habe ich immer wieder gefragt: Was bedeutet Sicherheitspolitik heute konkret für den Alltag in Deutschland — und vor allem, wie muss die Bundeswehr aufgestellt sein, damit sie diesen Anforderungen gerecht wird? Die Ereignisse seit 2014 und die russische Invasion in der Ukraine 2022 haben einen Paradigmenwechsel erzwungen. Für mich steht fest: Die deutsche Sicherheitspolitik muss jetzt umdenken — nicht nur rhetorisch, sondern strukturell und materiell. Im Folgenden skizziere ich, warum das so ist und welche direkten Folgen das für die Bundeswehr hat.

Warum ein Umdenken notwendig ist

Viele fragen: Reicht es nicht, die vorhandenen Strukturen etwas aufzupolieren? Die kurze Antwort lautet: Nein. Wir leben in einer Zeit multipler Bedrohungen – von konventioneller Militäraggression über hybride Angriffe bis zu Cyber- und Informationsoperationen. Diese Bedrohungen wirken gleichzeitig und erfordern eine Bundeswehr, die robust, flexibel und dauerhaft einsatzfähig ist.

Politisch hat Deutschland mit dem sogenannten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro einen historischen Schritt gemacht. Doch Geld allein ist kein Allheilmittel. Es kommt auf die Ausrichtung der Mittel an: Weg von punktuellen Prestigeprojekten, hin zu nachhaltiger Einsatzfähigkeit, Munition, Logistik und Reservenaufbau.

Welche Fragen stellen sich die Bürgerinnen und Bürger?

Die häufigsten Fragen, die mir Leserinnen und Leser stellen, sind:

  • Schützt die Bundeswehr Deutschland heute ausreichend?
  • Wird das Geld wirklich für die Aufrüstung genutzt oder verpufft es in Bürokratie?
  • Bedeutet die neue Ausrichtung mehr Auslandseinsätze?
  • Was heißt das für die Wehrpflicht oder Freiwilligendienst-Modelle?
  • Auf all diese Fragen antworte ich mit Blick auf die Realität: Schutzfähigkeiten entstehen nicht über Nacht. Es geht um Vorräte (Munition, Treibstoff), um Ausbildung, um Ersatzteilketten, um industrielle Basiskapazitäten und um schnelle Entscheidungswege.

    Direkte Folgen für die Bundeswehr

    Ich nenne hier konkrete Bereiche, in denen sich die Bundeswehr ändern muss — und bereits ändert:

  • Priorität auf territorialer Verteidigung: Statt allein expeditionärer Fähigkeiten brauchen wir glaubwürdige Fähigkeiten zur Landes- und Bündnisverteidigung. Das heißt mehr gepanzerte Brigaden, Luftabwehr und die Fähigkeit, dauerhaft höhere Kräfte zu halten.
  • Munitions- und Nachschubwirtschaft: Die russische Kriegsführung hat gezeigt, dass ein Mangel an Munition ein entscheidender Schwachpunkt ist. Die Bundeswehr muss strategische Vorräte aufbauen und die heimische Produktion (z. B. bei Rheinmetall, Diehl, KMW) sichern.
  • Modernisierung statt Prestige: Es geht weniger um die Anzahl einzelner Großprojekte als um die Durchhaltefähigkeit. Kurzfristig sind Systeme wie Flugabwehr (IRIS-T SLM, Patriot), Mehrzweckdrohnen und mobile Luftverteidigung wichtiger als teure, langwierige Programme ohne schnelle Wirkung.
  • Reserve und Mobilmachung: Eine leistungsfähige Reserve ist kein Luxus, sondern Kern der Landesverteidigung. Das bedeutet bessere Ausrüstung der Reservisten, regelmäßige Übungszyklen und rechtliche Rahmenbedingungen, die schnelle Aktivierung erlauben.
  • Logistik und Infrastruktur: Militärische Wirkung hängt von funktionierender Infrastruktur ab — Transportwege, Depots, Werkstätten. Hier müssen Investitionen Vorrang haben, nicht nur neue Panzer.
  • Personalgewinnung und -bindung: Die Bundeswehr muss attraktiver werden: bessere Karrierewege, familienfreundliche Bedingungen, Anerkennung ziviler Abschlüsse, mental-health-Angebote. Sonst bleibt die Quantität ohne Qualität.
  • Cyber und hybride Kräfte: Cyberabwehr, Informationsoperationen und Schutz kritischer Infrastruktur müssen in die Kernaufgaben integriert werden. Das Militär allein reicht nicht — zivile-militärische Kooperation ist Pflicht.
  • Was bedeutet das für Entscheidungen in Berlin?

    Politisch verlangt ein Umdenken mehr als Slogans. Es erfordert eine kohärente Strategie, die Haushaltspolitik, Industriepolitik und NATO-Verpflichtungen zusammendenkt. Die Bundesregierung (neben Kanzler Olaf Scholz und Verteidigungsministerinnen und -ministern vergangener Jahre) steht vor mehreren Entscheidungen:

  • Wie werden Mittel nachhaltig gebunden und kontrolliert, damit das Sondervermögen wirklich Wirkung zeigt?
  • Welches Verhältnis zwischen Auslandseinsätzen und territorialer Verteidigung wird festgeschrieben?
  • Wie werden Rüstungskooperationen in Europa organisiert, damit wir Interoperabilität mit NATO-Partnern sicherstellen?
  • Ich beobachte, dass Koordinationsdefizite zwischen Verteidigungsministerium, Wirtschaftsministerium und Industrie oft Zeit kosten. Eine zentrale Steuerung, die Lieferketten, Exportkontrollen und Ausbildungsbedarfe bündelt, wäre sinnvoll.

    Welche strukturellen Reformen schlage ich vor?

    Aus meiner Perspektive sind folgende Schritte dringend:

  • Strategische Vorräte anlegen: Munitions- und Ersatzteillager müssen priorisiert werden — gekoppelt an Produktionskapazitäten in Deutschland und EU.
  • Reserven neu denken: Reservisten sollten besser in die tägliche Struktur eingebunden werden, mit regelmäßigen Modulen und attraktiven Anreizen für Berufs- und Freiwillige.
  • Fokus auf Vernetzung: Digitale Führungs- und Kommandoinfrastruktur (C4ISR) muss massiv ausgebaut werden, damit Bündniskräfte effektiv zusammenarbeiten.
  • Dezentrale Produktionsnetzwerke: Rüstungsaufträge sollten so gestaltet werden, dass mehrere Standorte und mittelständische Zulieferer eingebunden sind — das erhöht Resilienz.
  • Kompetenzzentrum für hybride Bedrohungen: Ein interministerielles Zentrum könnte Cyber-, Informations- und Maßnahmen zur Resilienz bündeln.
  • Welche Risiken bestehen, wenn das Umdenken ausbleibt?

    Wenn Deutschland sich weiterhin auf alte Paradigmen verlässt, sind die Folgen gravierend: Verlängerte Reparatur- und Beschaffungszeiten, Abhängigkeiten von ausländischen Lieferanten, fehlende Munition im Krisenfall, und eine Bundeswehr, die zwar symbolisch stark wirkt, aber in konkreten Lagen nicht durchhaltfähig ist. Das schwächt nicht nur die nationale Sicherheit, sondern auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der NATO.

    Viele meiner Leser fragen auch, ob das Umdenken deutsche Werte – etwa Zurückhaltung in internationalen Einsätzen – verändert. Meine Antwort: Die Verteidigungsbereitschaft muss im Einklang mit demokratischen Debatten stehen. Es geht nicht um Militarisierung, sondern um verantwortungsvolle Fähigkeit zur Verteidigung und Abschreckung.

    Was können Bürgerinnen und Bürger erwarten?

    Konkrete Wirkungen des Umdenkens werden Sie in mehreren Bereichen merken: bessere Ausstattung und Präsenz der Truppe, sichtbare Investitionen in Infrastruktur (z. B. modernisierte Kasernen, Übungsplätze), höhere Transparenz bei Rüstungsprojekten und mehr Möglichkeiten für zivile Beteiligung (Katastrophenschutz, Reservistendienst). Zudem werden Debatten über Verpflichtungsmodelle – ob Freiwilligendienst, verlängerte Wehrpflicht oder neue Reservistenprogramme – intensiver geführt werden.

    Ich werde diese Entwicklungen weiter kritisch begleiten: Welche Projekte liefern schnelle, praktische Vorteile — und welche sind vor allem PR? Welche Industriekonstellationen sichern langfristige Versorgung — und welche schaffen Abhängigkeiten? Diese Fragen sind zentral, weil es am Ende um Sicherheit, Steuerung und demokratische Kontrolle geht.