China verändert längst nicht mehr nur die Weltwirtschaft — das Land ordnet aktiv industrielle Lieferketten neu, und das betrifft Deutschland ganz unmittelbar. Als Journalistin, die sich seit Jahren mit Wirtschafts- und Sicherheitspolitik beschäftigt, sehe ich diese Entwicklung nicht als abstraktes Makro-Phänomen, sondern als konkrete Herausforderung für Unternehmen, Beschäftigte und politische Entscheider. In diesem Beitrag möchte ich erklären, warum China so handelt, welche Folgen das für deutsche Zulieferer hat und wie Unternehmen sich praktisch schützen können.
Warum China seine Rolle in Lieferketten stärkt
Die Motive Pekings sind vielfältig — strategisch, ökonomisch und politisch. Drei Treiber stechen besonders hervor:
Strategische Autonomie: Nach Erfahrungen während der Corona-Pandemie und angesichts geopolitischer Spannungen strebt China danach, in kritischen Technologien und Lieferungen unabhängiger zu werden. Das betrifft Halbleiter, Batteriezellen, Seltene Erden und andere Schlüsselindustrien.Wertschöpfungsketten aufwerten: China will weg von der Rolle als reine Montagefabrik hin zu höherwertiger Produktion — Forschung, Entwicklung und Markenbildung. Politiken wie "Made in China 2025" zeigen diesen Kurs.Geopolitischer Einfluss: Durch gezielte Investitionen, Industriepolitik und Exportsteuerung kann China Einfluss auf internationale Produktionsnetzwerke und damit auch auf politische Entscheidungen anderer Staaten ausüben.Diese Treiber führen zu konkreten Maßnahmen: erhöhte Förderung von Schlüsselbranchen, Subventionen für heimische Firmen, Exportbeschränkungen für kritische Materialien sowie staatliche Beteiligungen an ausländischen Unternehmen. Für deutsche Firmen heißt das: Lieferbeziehungen werden nicht länger allein durch Kosten- oder Effizienzüberlegungen bestimmt, sondern auch durch politische Marktmacht.
Welche Risiken konkret bestehen für deutsche Unternehmen?
Die Risiken sind vielschichtig — sie betreffen Beschaffung, Produktion, Finanzen und Reputation.
Versorgungsunterbrechungen: Wenn China die Ausfuhr bestimmter Materialien oder Komponenten einschränkt, drohen Produktionsstopps in weltweit vernetzten Prozessen.Marktzugang und Wettbewerbsdruck: Chinesische Firmen, oft mit staatlicher Unterstützung, verdrängen ausländische Wettbewerber in Drittmärkten durch aggressive Preissetzung und technologische Subventionen.Abhängigkeit von wenigen Zulieferern: Viele deutsche Mittelständler sind in Branchen wie Automobil, Maschinenbau oder Elektronik auf einzelne chinesische Komponentenhersteller angewiesen.Compliance- und Lieferkettenrisiken: Sanktionen, Exportkontrollen oder unklare Lieferantensituationen erhöhen rechtliche und regulatorische Risiken.Was Unternehmen jetzt praktisch tun sollten
Viele Maßnahmen sind pragmatisch und können sofort angegangen werden; andere erfordern Investitionen und Strategieänderungen. Ich empfehle einen Dreiklang aus Analyse, Diversifikation und politischem Handeln.
Analyse: Wissen ist Schutz
Bevor man handelt, muss man verstehen. Das beginnt bei einer fundierten Lieferkettenanalyse.
Mapping: Erstellen Sie ein vollständiges Mapping Ihrer Lieferkette bis zur Rohstoffquelle. Identifizieren Sie Single Points of Failure — also Komponenten, die nur von einem Lieferanten oder aus einer Region stammen.Risiko-Scoring: Bewerten Sie Risiken nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe (z. B. Produktionsstopp vs. Preisanstieg).Transparenz schaffen: Nutzen Sie digitale Tools (z. B. Supply-Chain-Management-Systeme, Blockchain-Piloten) zur Nachverfolgbarkeit von Teilen.Diversifikation: Optionen schaffen
Diversifikation ist der klassischste Schutzmechanismus — aber sie verlangt Konsequenz.
Lieferanten streuen: Bauen Sie alternative Beschaffungsquellen in anderen Ländern auf (Südostasien, Osteuropa, Nordafrika, Mexiko).Nearshoring & Reshoring: Prüfen Sie die Verlagerung kritischer Produktionen näher an den Absatzmarkt. Das reduziert Transportzeit und geopolitische Risiken. Beispiele: Verlagerung von Elektronikmontage nach Polen oder Batteriezellfertigung nach Deutschland.Strategische Lagerhaltung: Für kritische Komponenten kann temporäres Stockpiling sinnvoll sein — allerdings teuer. Hier hilft ein Kosten-Nutzen-Plan.Technologie & Innovation: Unabhängigkeit fördern
Langfristig stärken technologische Unabhängigkeit und Innovation die Widerstandsfähigkeit.
Investitionen in F&E: Fördern Sie Upstream-Kompetenzen, etwa im Bereich Halbleiter-Design, Materialien oder Fertigungsverfahren.Kooperationen: Bauen Sie Partnerschaften mit Universitäten, Fraunhofer-Instituten oder europäischen Konsortien auf. Gemeinsame Projekte reduzieren Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten.Verträge, Finanzen und Versicherung
Rechtliche und finanzielle Instrumente verringern Risiken kurzfristig.
Lieferverträge prüfen: Verhandeln Sie flexiblere Lieferverträge mit Mehrquellenklauseln und klaren Force-Majeure-Regelungen, die geopolitische Risiken berücksichtigen.Währungs- und Kreditrisiken: Nutzen Sie Hedging-Instrumente, um Wechselkursschwankungen abzufedern.Versicherungslösungen: Branchenversicherer bieten Political-Risk- und Supply-Chain-Versicherungen, die Produktionsausfälle durch geopolitische Maßnahmen abdecken können.Politisches Handeln: Unternehmen sind nicht allein
Unternehmen können vieles intern tun — aber strukturelle Abhängigkeiten lassen sich oft nur durch staatliches Handeln verringern.
Lobbyarbeit für Industriepolitik: Setzen Sie sich für nationale und europäische Förderprogramme ein (z. B. für Batteriezellen, Halbleiter, kritische Rohstoffe).Regionale Kooperationen: EU-Strategien zur Resilienz von Lieferketten nutzen: Horizon Europe, Important Projects of Common European Interest (IPCEI) und InvestEU bieten Instrumente zur Stärkung kritischer Branchen.Transparenz-Regeln: Unterstützen Sie gesetzliche Vorgaben, die mehr Transparenz in Lieferketten schaffen — das hilft allen Marktteilnehmern langfristig.Ein konkretes Beispiel: Automobilzulieferer
Ich beobachte den Automobilsektor sehr genau, weil er exemplarisch ist: Viele Zulieferer sind stark von chinesischen Komponenten abhängig, etwa für Batterietechnik und Leistungselektronik. Ein deutscher Mittelständler sollte hier folgende Schritte erwägen:
Lieferketten-Mapping bis zur Batterie-Rohstoffquelle (Lithium, Kobalt).Aufbau einer europäischen Batterielieferkette durch Beteiligungen oder Joint Ventures (z. B. Kooperation mit europäischen Zellherstellern wie Northvolt).Verhandlung neuer Konditionen mit chinesischen Lieferanten, ergänzt durch Alternativen in Südostasien und in Europa.| Maßnahme | Kurzfristiger Effekt | Langfristiger Nutzen |
| Lieferanten-Mehrquellen | Reduziert Ausfallrisiko | Erhöht Verhandlungsstärke |
| Nearshoring | Höhere Kosten | Mehr Resilienz, kürzere Reaktionszeiten |
| Investition in F&E | Keine sofortige Wirkung | Technologische Unabhängigkeit |
Die Antwort auf Chinas Neuordnung der Lieferketten ist deshalb nicht entweder/oder, sondern ein Portfolio von Maßnahmen. Kurzfristige operative Schritte müssen mit langfristigen Investitionen und politischem Engagement verzahnt werden.
Ich sehe immer wieder denselben Fehler: Unternehmen warten, bis ein akuter Lieferstopp oder eine Preisschock-Welle sie trifft. Wer proaktiv handelt — mit klaren Analysen, Diversifikation und politischer Vernetzung — wird nicht nur Krisen besser überstehen, sondern auch Wettbewerbsvorteile gewinnen. Und das ist es letztlich, worum es gehen muss: Sicherheit schaffen, ohne Innovationskraft und Internationalität zu verlieren.